Am Dienstag, den 16.9.2025, fand die erste Stolperstein-Verlegung in Dreieich-Sprendlingen statt. 28 Gedenksteine erinnern nun an von den Nazis vertriebene und ermordete jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Messing-Gedenksteine befinden sich auf dem Gehsteig vor den Häusern, die die Verfolgten einst bewohnten. Der Künstler Gunter Demnig, der Begründer der Stolperstein-Aktion, gab schon 1992 das Ziel vor, dass sich vor allem die junge Generation, also die Schulen vor Ort, jeweils mit den Hintergründen und Biografien der Opfer des nationalsozialistischen Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzen und bei der Stolperstein-Verlegung durch die Gestaltung eines Begleit-Programms mitwirken sollen.
Gunter Demnig hat in den letzten 33 Jahren schon über 100.000 Gedenksteine in fast allen Ländern Europas verlegt; in Sprendlingen verlegte er nun die Gedenksteine an sechs verschiedenen Orten der Innenstadt.
Neben der Ricarda-Huch-Schule, der Weibelfeld-Schule und der Heinrich-Heine-Schule war die Max-Eyth-Schule (MES) an der Gedenkaktion beteiligt. Die Max-Eyth-Schule gestaltete das Gedenken an der Hauptstraße 42, wo die Familie Goldschmidt wohnte: Zwei Familienangehörige wurden in Theresienstadt ermordet und sechs weitere waren – vor allem nach der Reichspogromnacht 1938 – zur Flucht (in die USA) gezwungen.
Zum Tag der Stolpersteinverlegung reisten vier Nachkommen der Familie Goldschmidt aus den USA an. Joel Goldschmidt, der Sohn Siegfried Goldschmidts, verwies eindringlich auf das ungeheure Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen, dem sich die jüdischen Familien entgegenstemmten.
Die Schülerinnen und Schüler des Beruflichen Gymnasiums und der Fachoberschule der MES gingen in ihrem Beitrag der Frage nach, wie sich Flucht- und Lager-Erfahrungen auf die Nachkommen auswirken, also auf die sogenannte „transgenerationale Trauma-Tradierung“: „Trauma ist die Vergangenheit, die nie vergeht“ (Aleida Assmann). Sie stellten heraus, wie sich die abgründige Grausamkeit, die traumatischen Erlebnisse ins „Familien-Gedächtnis“ einschreiben. Auch wenn die unmittelbar Betroffenen nicht oder kaum über ihr Leid sprechen können, wirkt das Geschehene durch Tabus in den Familien weiter. Depressionen und unverständliche Reaktionen der Eltern prägen den Alltag der überforderten Kinder. Der Frankfurter Psychotherapeut Kurt Grünberg, dessen Vater ebenso ein KZ-Überlebender war, spricht vom szenischen Erzählen/Erinnern. Die Kinder wissen implizit vom Grauen, das die Eltern erlebt haben.
Nachkommen in der dritten und vierten Generation sprechen davon, dass sie sich keineswegs frei fühlen, sondern übergroße Erwartungen und eine schwere Last tragen und, dass das unsagbare Leid, die Kränkungen, die ihre Angehörigen erfahren haben, sie weiterhin prägen. Tabus und Erfahrungen von Fremdheit – wer Folter erlebt hat, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt, meint der Überlebende der Schoah Carl Améry – verursachen auch bei den Angehörigen und Nachkommen eine bleibende Situation der Überforderung und Schuldgefühle.
Die Nachfahren, die bei der Stolperstein-Verlegung das Wort ergriffen haben, bestätigten die Weitergabe von Traumata über die Generationen hinweg.
Dass die Namen der NS-Opfer durch die Stolpersteine nun wieder lesbar werden, zumindest die Namen in die Stadtgeschichte „zurückkehren“ sollen, bewegte alle, die an der Stolperstein-Verlegung teilnahmen. „Every name counts.“ Die Schicksale der NS-Opfer sind nicht mehr anonym. Ihre Namen bleiben nun auf dem Gehweg eingeschrieben:
Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit kann nie abgeschlossen sein. Da die NS-Verbrechen von 1933-1945 nicht ansatzweise so geahndet und bestraft wurden, wie es notwendig gewesen wäre, bleibt es umso wichtiger, die Namen der Opfer niemals zu vergessen.
Da Menschen zum Verschweigen tendieren und verdrängen wollen, müssen die Gedenksteine dies verhindern und bleibend zu Mitgefühl und Humanität aufrufen. In jedem Fall beginnt die Zukunft mit der Erinnerung (vgl. Aleida Assmann). Die Vorträge, Zeitzeugengespräche, das umfangreiche Kulturprogramm der Stolperstein-Initiative für die Stadt Dreieich gehen weiter.
Die nächste Verlegung von Stolpersteinen wird im April 2026 stattfinden. Die Max-Eyth-Schule wird sich daran erneut beteiligen.

