Bildungsarbeit als Friedensarbeit an der Max-Eyth-Schule

„´Uns fehlt es an Widerstand gegenüber der Gegenwart`, sagte [der französische Philosoph] Deleuze. Und er hatte recht. Ich schlage vor, von Widerstand gegenüber der Aktualität zu sprechen. Gegenüber dieser Aktualität, die man uns auferlegt. … Erinnerung und Fantasie (und die Arbeit der Ideen) sind die besten Waffen des Widerstands…“      

Josep-Maria Esquirol in seinem neusten Buch „Der intime Widerstand. Eine Philosophie der Nähe“

Schüler* eines Englischkurses des Beruflichen Gymnasiums bauten im Rahmen des neuen Erasmus-Projekts aus Holz eine geodätische Kuppel mit einem Durchmesser von 4,40m und einer Höhe von 2,60m. Sie widmeten die halbkugelförmige Konstruktion dem Frieden, befestigten Europa-Symbole daran und riefen am Freitag, den 4.3.22, ihre Mitschüler* dazu auf, ihre momentanen Gefühle zum Krieg sowie ihre Wünsche und Friedensbotschaften aufzuschreiben/aufzumalen und an das Bauwerk zu heften. Die Halbkugel wurde auf der Wiese neben dem Schulteich aufgestellt; die lokale Wohlfühloase der Max-Eyth-Schule braucht offensichtlich eine Ergänzung und perspektivische Ausweitung. Ähnliche Modelle werden an zwei neuen Partnerschulen in der spanischen Stadt Vigo errichtet werden. Die voneinander entfernten Kugelhälften streben nach Verbindung und Begegnung; das Projekt erinnert an Platons Mythos der Kugelmenschen (aus dem „Symposion“), die ursprünglich kugelrund waren, dann geteilt wurden und nun ihre (bessere) Hälfte, ihr passendes Pendant suchen müssen. Wie Platons Halbkugel bereits das Bedürfnis nach Zusammensein, die (durchaus erotische) Sehnsucht des Menschen nach Ergänzung verkörpert, so verdeutlicht die Halbkugel der Max-Eyth-Schule die innerkulturelle Offenheit und Sehnsucht nach dem anderen, fehlenden Teil, nach einer Einheit in Vielfalt. Schon länger schmerzt Andreas Gaul, der Initiator des alten und neuen Erasmus-Programms („Erasmus+“), gewissermaßen der „Minister for Foreign Affairs“ der Schule, dass die Austauschprogramme wegen der Corona-Epidemie auf Eis gelegt waren und Begegnungen nur virtuell stattfinden konnten. Ende des Monats wird es endlich wieder losgehen; die erste Reise führt die BOJ-Klasse von David Distelmann wieder auf die iberische Halbinsel. Sie werden mit einer Behindertenwerkstatt (AFAS) eine dauerhafte Pergola, ebenfalls in Halbkugelform, realisieren; die Halbkugel wird in den Außenanlagen der südlich von Madrid in Don Quixotes Mancha gelegenen Behindertenwerkstatt im Sommer Schatten spenden.

Bildungsarbeit ist für die Lehrkräfte, die sich in Erasmus-Projekten engagieren, Friedensarbeit mit utopischen Ausmaßen und einem langen Atem. Sie sind davon überzeugt, dass die internationalen Begegnungen eine Langzeitwirkung haben und sich als unvergessliche Erlebnisse in die Erinnerung der Schüler* einschreiben. Die Effekte dieser elementaren Bildungserfahrungen sind vielleicht nicht sofort spürbar, doch der aktuelle Krieg zeigt die Notwendigkeit und Brisanz von Projekten der interkulturellen Verständigung.

Wenn das unvollständige Kugelformat mit seinem spanischen Pendant die ungeeinte Erde symbolisiert, stellt es uns sinnfällig vor Augen, dass die gegenwärtige Dualität überwunden werden muss. Das Holzglobusmodell verdeutlicht aber auch, wie zerbrechlich die Erde ist, dass wir auf einem fragilen Planeten mit einer ebenso leicht irritierbaren Atmosphäre aus Wünschen und Imaginationen leben. Wie wir mit der Biosphäre sorgsam umgehen müssen, so müssen auch unsere Phantasien, Träume und Ideen wachsen, sich entwickeln und verantwortungsvoll kultiviert werden. Erasmus-Kollegen nehmen das obige Zitat des katalanischen Philosophen ernst. Fragen, was es mit der sonderbaren Konstruktion auf dem Schulgelände auf sich hat, müssten damit geklärt sein.

 

Es zeigte sich, alle Wunschkarten der Schüler*, die zum Teil in verschiedenen Sprachen verfasst sind, weisen derzeit in eine ähnliche Richtung: Die Schüler* hoffen, dass die Menschheit schnell den Pfad der Selbstvernichtung verlässt und vernünftigere, weniger zerstörerische Optionen des Zusammenlebens wählt. Fast auf allen Karten ersehnen die Schüler* Frieden für sich und ihre europäischen Nachbarn, Frieden für die Ukraine. Die Schülerwünsche spiegeln zugleich auch die reale Bedrohung, die die Schüler* besorgt oder ängstigt, die dunkle Gegenseite, dass Europa momentan durch den Krieg in Osteuropa in einen furchtbaren Abgrund blicken muss, dass das wahnsinnige Machtstreben eines Autokraten (oder besser: Diktators) und seiner willfährigen Regierung zu einer totalen Katastrophe führen kann.

Wenn Schülerwünsche formuliert werden, endlich ernsthaft an der Rettung des Klimas und der Biodiversität zu arbeiten, so erweisen diese sich als hellsichtig: Der Krieg, der längst als „fossiler Krieg“ gebrandmarkt wird, wäre nicht zu führen, wenn Putin nicht die täglichen Einnahmen von 700 Millionen Euro aus dem Rohstoffgeschäft bekäme und so das Embargo gegen Russland übergroße Schlupflöcher hätte. Dass Europa nicht länger durch eine falsche Energiepolitik abhängig und erpressbar bleibt, ist die Forderung der Fridays for Future-Bewegung, die die SV der Max-Eyth-Schule unterstützt.

Die jugendlichen Hoffnungen bilden indes eine klare, einende Orientierung und eine gemeinsame Ausgangsbasis. Eine pädagogische Herkulesaufgabe scheint es aber derzeit zu sein, eine gemeinsame Faktenbasis zu erarbeiten, auf der vernünftige Diskussionen über den Russland-Ukraine-Krieg möglich sind. Die schulische Aufklärungsarbeit muss sich dabei durch einen Wust von Desinformationen, Verschwörungstheorien, Propaganda und Halbwahrheiten wühlen, die über die Sozialen Netzwerke verbreitet werden und die Schüler* via Smartphone erreichen. 

Die Schülervertretung möchte jedenfalls sobald wie möglich eine Schulpartnerschaft mit einer ukrainischen Schule anstoßen. Um wirksam gegen Rassismus und Antisemitismus vorzugehen, wäre auch eine Schulpartnerschaft mit einer israelischen Schule wichtig, so SV-Lehrer Florian Kraft; schließlich unterhalte der Landkreis Offenbach eine sehr lebendige Städtepartnerschaft mit Kiryat Ono.