Im Stadtmuseum „Haus zum Löwen“ in Neu-Isenburg findet seit 05.05.23-24.01.24 die Ausstellung 1848 — Für Demokratie und Menschenrechte statt. Parallel dazu erstellte Malte Roggenberg im Rahmen der Unterrichtsreihe „Schriftsteller im Widerstand“ einen Essay und fuhr die wichtigsten Stationen Georg Büchners mit seinem Rennrad ab. Fazit: Ein gelungenes fächerübergreifendes Projekt: Deutsch-Geschichte-Sport.
Das Essay:
Street-Art per Fahrrad — mit GPS auf Spurensuche unserer Demokratie — unterwegs auf kontroversen (Rad-)Wegen und revolutionären Verbindungen des 19. Jahrhunderts
Mit einer Lebensgeschichte, die von Leidenschaft, Rebellion und revolutionären Ideen geprägt war, hat Georg Büchner (17.10.1813-19.02.1837) eine tiefe Spur in der deutschen Literatur hinterlassen. Als Schriftsteller und politischer Aktivist des 19. Jahrhunderts verkörperte Büchner den Geist einer aufstrebenden Generation, die gegen die bestehenden sozialen und politischen Strukturen aufbegehrte. Doch während Büchner sich gegen das herrschende System erhob, stieß er auch seinem eigenen Land das Messer in den Rücken. Diese metaphorische Wendung bringt eine Kontroverse zum Vorschein: Wie konnte ein junger Mann, der sich für soziale Gerechtigkeit und die Rechte der einfachen Menschen einsetzte, zugleich als Verräter angesehen werden?
Büchners revolutionärer Geist und seine Ideen von Freiheit und Gleichheit stellten eine Bedrohung für die herrschende Ordnung dar und führten zu einer starken Reaktion von Seiten der Eliten.
Georg Büchners konfliktreiche Lebensgeschichte nahm ich zum Anlass für die Projektarbeit im Deutsch-Grundkurs Q2 bei Frau Hetmank. Projektziel: Ich erstelle ein GPS-„Kunstwerk“, das uns die Möglichkeit gibt, Teile von Büchners Reise durch Raum und Zeit zu verfolgen und einen einzigartigen Blick auf seine Welt zu werfen. Die GPS-Kunst hat sich zu einer aufregenden Trendsportart entwickelt, bei der Künstler:innen GPS-Tracking nutzen, um ihre Bewegungen aufzuzeichnen und durch Verbindung der GPS-Koordinaten unterschiedliche Bilder entstehen lassen.[1]
Da das Messer eine zentrale Rolle in Büchners Werk „Woyzeck“ (1836) spielt, fuhr ich die Lebensstationen des Autors, wie die Orte Goddelau und Darmstadt, in Form eines Messers ab (siehe Abb. 1). Hierbei steht das Messer nicht nur symbolisch für die zerrüttete Psyche des Protagonisten Franz Woyzeck in Büchners Dramenfragment „Woyzeck“, sondern auch für die scharfen Kontraste und Konflikte, die Büchner in seiner Gesellschaft beobachtete. „Woyzeck“ ist ein herausragendes Werk Büchners, das die soziale Unterdrückung und die Auswirkungen der gesellschaftlichen Strukturen auf das Individuum thematisiert. Das Messer in der GPS-Kunst repräsentiert dabei die Schärfe dieser Konflikte und die tiefen Wunden, die in der Gesellschaft durch soziale Ungerechtigkeit entstehen können.
Das hessische Goddelau, der Geburtsort Büchners, markiert den Anfangspunkt seines turbulenten Lebens (siehe Abb. 2). Umgeben von den weiten Feldern und Wäldern wuchs Büchner in einer Familie auf, die von Bildung und intellektuellem Austausch geprägt war. Sein Vater, ein Arzt, strebte nach Fortschritt und Wissen. Somit war das Haus der Büchners ein Ort des regen intellektuellen Diskurses.
Die ländliche Umgebung, in der er aufwuchs, vermittelte ihm einen direkten Kontakt zur Arbeiterschaft und den Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert waren. Büchner wuchs in einer Zeit auf, die von sozialer und politischer Unruhe geprägt war. Diese Umstände und seine eigenen Erfahrungen inspirierten ihn zu einem engagierten Schriftsteller und Aktivisten für soziale Gerechtigkeit zu werden. Die enge Verbundenheit von Büchner zu seiner Familie und die prägenden Erfahrungen seiner Jugend in Goddelau werfen jedoch auch Fragen auf: Wie sehr wurde Büchner von den Ideen und Überzeugungen seiner Familie geprägt? Inwieweit beeinflussten seine familiären Bande und die intellektuellen Diskussionen zu Hause seine spätere Haltung gegenüber sozialer Ungerechtigkeit und politischem Wandel?
Es gibt Befürworter, die Georg Büchner als einen visionären Revolutionär betrachten, der mit seiner Feder die Fackel der Freiheit entzündete. Doch gibt es auch kritische Stimmen, die behaupten, dass Büchner in seinem Kampf für die Revolution die Realität aus den Augen verlor. War Büchner ein wacher Beobachter der Gesellschaft oder nur ein blinder Verfechter einer idealisierten Vorstellung von Freiheit?
Es ist unbestreitbar, dass Büchner mit seinen literarischen Werken wie „Dantons Tod“ (1835) und „Woyzeck“ (1836) eine kraftvolle Stimme gegen soziale Ungerechtigkeit erhob. Er scheute sich nicht davor, die Schattenseiten der Gesellschaft aufzuzeigen und zum Umbruch aufzufordern. Ein gutes Beispiel ist eine, von Büchner in Darmstadt gehaltene Rede zur Verteidigung des Cato von Utica (1830), einer historischen Figur, die ein leidenschaftlicher Unterstützer der römischen Republik war. Cato beging aus Liebe zur Freiheit Selbstmord, da er glaubte, dass die Menschen unter der Herrschaft von Cäsar lediglich Sklaven waren. Büchners Ansprache in Darmstadt zeugt von seiner tiefen Auseinandersetzung mit politischen Ideen und seinem Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit.
Die Ideale von Georg Büchner mögen bewundernswert sein, doch kann es sein, dass sein Vater mit diesen Überzeugungen nicht einverstanden war? Als Arzt und Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft hatte Büchners Vater wahrscheinlich eine andere Sichtweise auf politische Veränderungen und soziale Dynamiken. Dies könnte ein Grund sein, warum einige Jahre später der Kontakt abbrach. Diese zerrüttete familiäre Beziehung wirft wichtige Fragen auf: Wie stark war der Einfluss des Vaters auf Büchners Weltanschauung und sein Engagement für politischen Wandel?
Fest steht, dass Büchner trotz der möglichen Unstimmigkeiten in der Familie seinen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit fortsetzte. Zusammen mit einigen Kommilitonen gründete er die Gesellschaft für Menschenrechte, eine politische Organisation, die sich für die Verteidigung der Grundrechte und Freiheiten aller Menschen einsetzte. So fand Büchner Gleichgesinnte und verbreitete seine Überzeugungen. Bereits 1834 äußerte er in seinem politischen Manifest „Der Hessische Landbote“ seinen revolutionären Geist und seinen Kampf gegen die herrschenden Eliten. Mit markanten Worten verkündete er: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen.“[2] Dieses Zitat verdeutlicht Büchners Haltung und den revolutionären Geist, der seine Werke durchdringt. Büchner war ein Vorreiter des politischen Engagements und ein Verfechter der Rechte der einfachen Menschen. In seinen Schriften äußerte er sich kritisch über die bestehenden sozialen Hierarchien und das herrschende System. Er stellte fest: Wer sich gegen das römische Reich auflehnt, ist ein Verbrecher. Mit rhetorischen provokanten Worten wie diesen forderte Büchner zum Widerstand gegen die etablierte Ordnung auf und rief zu einer Revolution auf, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
In diesem Kontext spielte Offenbach eine zentrale Rolle als Ort des Widerstands und der politischen Aktivität. Hier in den Druckereien von Offenbach wurden die ersten Exemplare des berühmten „Hessischen Landboten“ von der Gesellschaft für Menschenrechte gedruckt[3]. Diese rebellische Veröffentlichung kann als Symbol für den Geist der französischen Bastille angesehen werden. Ähnlich wie während der Französischen Revolution, als einfache Bürger und Bauern die Bastille stürmten[4] und zu den Waffen griffen, fand in Offenbach eine ähnliche Bewegung statt. Georg Büchner und seine Kommilitonen griffen zu metaphorischem „schwerem Geschütz“ und setzten sich gegen die herrschende Elite ein.
Abschließend bleibt Georg Büchners kurzes Leben und Werk eine Quelle der Bewunderung und sorgt für kontroverse Diskussion. Von seinen politischen Idealen über sein literarisches Schaffen bis hin zu seinem persönlichen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit hat Büchner eine bleibende Spur hinterlassen. Doch während die einen ihn als visionären Vorkämpfer für gesellschaftlichen Wandel sehen, stellen andere die Frage, ob seine revolutionären Ansichten ihn zu einem blinden Verfechter der Revolution gemacht haben. In einer Welt, die weiterhin von politischen Herausforderungen geprägt ist, können wir aus Büchners Leben lernen und uns inspirieren lassen, gesellschaftliche Strukturen sowie unsere eigenen Überzeugungen zu hinterfragen und uns für eine bessere Zukunft einzusetzen. Die GPS-Kunst ermöglicht es uns, seine Geschichte entlang einiger seiner Lebensstationen zu erkunden und in den Dialog über Büchners Erbe einzutreten, um weiterhin von seinem Vermächtnis zu profitieren.
[1] https://www.strav.art/home (letzter Zugriff am 04.06.2023)
[2] https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5d/Landbote.jpg (letzter Zugriff am 04.06.2023)
[3] https://www.demokratiegeschichten.de/der-hessische-landbote/ (letzter Zugriff am 04.06.2023)
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Sturm_auf_die_Bastille (letzter Zugriff am 04.06.2023)